Montag, 4. Dezember 2017

Elche im Tal

Es war Winter im Allgäu. Sie saßen oberhalb von Oberstdorf, nicht weit von der Skisprungschanze entfernt, auf einer Bank unter einem großen Tannenbaum, umgeben von nächtlicher Dunkelheit. Schräg hinter ihnen leuchteten die Lichter des Ortes hinauf und spiegelten sich in den Millionen von Schneekristallen. Die Kälte machte ihnen nur wenig zu schaffen. Sie hatten einen kurzen, aber steilen Aufstieg hinter sich und wollten auf dieser Bank nur ein wenig verschnaufen. Still saßen sie in der Dunkelheit und betrachteten die ver­schneiten Berge vor sich.
Aus kurzer Distanz näherte sich eine Gruppe Spaziergänger auf dem windungsreichen Waldweg. Bald konnten sie schon ihr Gespräch mitanhören.
„... und plötzlich stand der Elch genau vor der Veranda unseres Ferienhauses“, hörten sie einen Mann erzählen. „Elche sind gar nicht so scheue Tiere, wie immer behauptet wird. Im Gegenteil: Sie sind sehr neugierig und beobachten gerne die Menschen.“
„In harten Wintern, wenn sie im Wald nicht genug zu fressen finden, gehen sie sogar in die Dörfer hinein“, ergänzte eine Frau, während die anderen aus der kleinen Gruppe gespannt zuhörten. „Sie gehen dann in die Gärten der Bewohner und suchen dort nach fressbarem.“
„Das ist ja unglaublich. Stellt euch mal vor, ihr geht in den Garten und trefft dort einen Elch, der euer Blumenbeet plündert“, sagte eine andere Frau lachend.
„Ja, aber Elche sind nicht gefährlich. Sie greifen Menschen nicht an.“
„Trotzdem ist es nicht angenehm, wenn plötzlich so ein riesiger Elch vor einem steht“, sagte ein Mann.
„Schon, aber es sind eigentlich sehr freundliche Tiere.“
„Guten Abend!“, tönte es nun laut und vernehmlich aus Richtung der Bank.
Er hatte es sich einfach nicht verkneifen können. Die Gruppe erschrak und alle blickten sich suchend um. Eine Frau stieß einen kurzen Schrei aus. In der Dunkelheit hatte sie die Leute auf der Bank nicht bemerkt.

Sie brauchten einige Minuten, um sich wieder zu beruhigen und sich klar zu machen, dass der Gruß von einem Menschen kam. Immer noch ein wenig verwirrt setzten sie ihren Weg fort. Den Wanderern auf der Bank wurde es jetzt langsam doch ein wenig zu kalt und so machten sie sich wieder auf den Weg. Unter ihnen leuchteten die Lichter von Oberstdorf. Über ihnen standen die Bergriesen schweigend in der Dunkel­heit. Der Weg führte vorbei an einer Futterstelle für Rehwild. Man sah sogar einige Tierschatten bei dem Fütterhäuschen. Elche waren aber nicht dabei.

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