Montag, 4. Dezember 2017

»Ein Gespräch für Sie«

Die Studenten strömten in den Seminarraum. Gleich würde die Vorlesung beginnen. Der Raum war für etwa dreißig Leute gedacht, aber es hatten sich mindestens doppelt so viele eingefunden. Der Dozent gehörte näm­lich zu den be­liebtesten in der Fakultät. Für einen Professor war er noch relativ jung, außerdem sah er gut aus. Jeder hätte ihn gerne als Prüfer und so manche Studentin träumte sicherlich von mehr. Dabei war er glücklich verheiratet und würde sich niemals eine Blöße geben. Manche weiblichen Veranstaltungsbesucher schien das jedoch erst recht anzuspornen.
Der Raum war erfüllt vom Gemurmel der zahlreichen Gespräche. Dann kam er. Er bahnte sich seinen Weg durch die Masse und ging nach vorne zum Dozententisch. Innerhalb weniger Sekunden starben die Ge­sprä­che ab und der Vortrag begann.
Nach etwa zehn Minuten geschah etwas unerwartetes: Ein Handy klingelte. Das war im Zeitalter der mo­bi­len Kommunikation zwar nichts ungewöhnliches. Neu war jedoch, dass der Student, dessen Handy sich so plötzlich zu Wort gemeldet hatte, das Gespräch ungerührt annahm. Wenn sonst irgendwo jemand vergessen hatte sein Handy auszuschalten, dann holte er oder sie das in solchen Momenten verschämt nach. Dieser Student, der überdies noch vorne in der ersten Reihe saß, begann jedoch ungerührt zu telefonieren. Der Professor unterbrach seine Vorlesung und alle Augen richteten sich auf den Telefonierer.
„Ja, kein Problem. Aha, ja. Geht klar. Was?“, hörte man ihn sagen.
Der Professor wurde ungehalten. Man konnte deutlich sehen, wie sein Gesicht rot wurde und seine Adern langsam anschwollen. Wer war dieser Schnösel, der hier so ungerührt mitten in seiner Vorlesung tele­fonierte?
„Junger Mann...“, setzt er an, aber dieser Schnösel bedeutete ihm mit einer Handbewegung ruhig zu sein.
Dem Professor blieb die Spucke weg. Der wagte es doch tatsächlich...
Der Schnösel sprach ungerührt weiter: „Ja, ist gut. Mach ich. Wer? Ja, der ist da. Einen Moment!“ Dann wandte er sich an den Professor: „Ihre Frau möchte sie kurz sprechen“, und reichte ihm sein Handy hinüber.
Der Professor schaute ein wenig verdattert. Dann nahm er das Gerät entgegen. Es war tatsächlich seine Frau, wie die Anwesenden aus dem was er sagte, entnehmen konnten. Er sollte auf dem Heimweg noch ein paar Besorgungen machen. So schnell er konnte beendete der Professor das Gespräch und reichte das Handy zurück an seinen Besitzer.
„Bitte schalten sie das Gerät aus“, ermahnte er ihn.
„Und wenn ihre Frau noch mal anruft?“, sagte der Schnösel grinsend.

„Dann kann sie ja in ihre Mailbox sprechen“, gab der Professor zurück und setzte sein Vorlesung fort.

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